Otto Schmidt Verlag

BGH 8.2.2011, X ZB 4/10

Vergaberecht: S-Bahn-Leistungen müssen ausgeschrieben werden

§ 15 Abs. 2 AEG genießt unter dem Gesichtspunkt der Spezialität nicht den Vorrang vor den vergaberechtlichen Bestimmungen des GWB, sondern wird vom GWB als dem jüngeren Gesetz verdrängt. Der Anwendungsbereich der vergaberechtlichen Bestimmungen im Gesetz nach Vertragsarten und -gegenständen ist prinzipiell umfassend bestimmt und der Ausnahmekatalog in § 100 Abs. 2 GWB - unter den der S-Bahn-Betrieb nicht fällt - ist als abschließend anzusehen.

Der Sachverhalt:
Nach dem Verkehrsvertrag zwischen dem Verkehrsverbund Rhein-Ruhr (VRR) und DB Regio aus dem Jahr 2004 erhält DB Regio die Fahrscheinerlöse und bezieht außerdem über den VRR einen Zuschuss pro gefahrenen Zugkilometer. Die dafür erforderlichen Geldmittel erhält der VRR vom Land NRW auf der Grundlage des ÖPNVG NRW. Aufgrund des Regionalisierungsgesetzes erhält NRW wiederum für die Finanzierung des öffentlichen Personennahverkehrs vorgesehene Bundeszuwendungen. Für den Fall, dass sich diese Mittel reduzieren, enthält der Verkehrsvertrag eine Revisionsklausel, nach der der VRR bei entsprechenden Mittelkürzungen eine Anpassung des SPNV-Angebots verlangen kann.

Nachdem die Mittel für Zuwendungen an die Länder auf der Grundlage des Regionalisierungsgesetzes 2006 gekürzt worden waren, schlossen die Vertragspartner im November 2009 zur Beilegung ihrer Streitigkeiten vergleichsweise einen Änderungsvertrag zum Verkehrsvertrag. Demnach sollte DB Regio weitere neue S-Bahn-Fahrzeuge beschaffen und die S-Bahn-Linien S 1 bis S 11 über das Ende des ursprünglichen Verkehrsvertrags hinaus bis Dezember 2023 bedienen.

Die Abellio Rail NRW GmbH, ein Tochterunternehmen der niederländischen Staatsbahnen, die an der Übernahme des Betriebs vornehmlich der S-Bahn-Linie 5 ab Dezember 2018 interessiert ist, war der Ansicht, dass die Übertragung des S-Bahn-Betriebs über den Zeitraum nach Dezember 2018 hinaus auf DB Regio unwirksam sei, da der Dienstleistungsauftrag hätte ausgeschrieben werden müssen.

Auf das von ihr eingeleitete Nachprüfungsverfahren erklärte die Vergabekammer Münster den Änderungsvertrag für unwirksam. Der BGH hat die Entscheidung der Vergabekammer nun bestätigt.

Die Gründe:
§ 15 Abs. 2 AEG genießt unter dem Gesichtspunkt der Spezialität nicht den Vorrang vor den vergaberechtlichen Bestimmungen des GWB, sondern wird vom GWB als dem jüngeren Gesetz verdrängt. Der Anwendungsbereich der vergaberechtlichen Bestimmungen im Gesetz nach Vertragsarten und -gegenständen ist prinzipiell umfassend bestimmt und der Ausnahmekatalog in § 100 Abs. 2 GWB - unter den der S-Bahn-Betrieb nicht fällt - ist als abschließend anzusehen. Ein gesetzgeberischer Wille dahin, die Vergabe solcher Leistungen gleichwohl dem Anwendungsbereich des GWB zu entziehen, ist der Entstehungsgeschichte der gesetzlichen Regelung nicht zu entnehmen.

Außerdem betrifft der Änderungsvertrag keine Dienstleistungskonzession, die ebenfalls dem vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren entzogen wäre, sondern einen Dienstleistungsauftrag. Laut EuGH-Rechtsprechung ist für Dienstleistungskonzessionen charakteristisch, dass der Konzessionär bei der Verwertung der ihm übertragenen Leistung den Risiken des Marktes ausgesetzt ist und das Betriebsrisiko ganz oder zumindest zu einem wesentlichen Teil übernimmt. Infolgedessen liegt hier keine Dienstleistungskonzession vor, weil ein rentabler S-Bahn-Betrieb weitgehend durch die Zuzahlungen der öffentlichen Hand gesichert wird, die nach den Angaben von DB Regio rund 64 % der Gesamtkosten decken und die Einnahmen aus dem Fahrkartenerlös somit ganz deutlich übersteigen.

Der Nachprüfungsantrag war auch in der Sache begründet. Abellio hatte den Vertragsschluss rechtzeitig vor der Vergabekammer beanstandet und die Voraussetzungen des § 4 Abs. 3 Nr. 2 VgV lagen nicht vor. Zwar dürfen Personennahverkehrsleistungen ausnahmsweise freihändig vergeben werden, wenn ein wesentlicher Teil der durch den Vertrag bestellten Leistungen während der Vertragslaufzeit ausläuft und anschließend im Wettbewerb vergeben wird. Allerdings soll die Laufzeit des Vertrages zwölf Jahre nicht überschreiten. Da die Möglichkeiten dieser Vorschrift schon mit Abschluss des ursprünglichen Verkehrsvertrags zwischen dem VRR und DB Regio ausgeschöpft worden waren, durften sie nicht erneut genutzt werden.

Linkhinweise:

  • Der Volltext dieser Entscheidung wird demnächst auf den Webseiten des BGH veröffentlicht.
  • Für die Pressemitteilung des BGH klicken Sie bitte hier.

Verlag Dr. Otto Schmidt vom 08.02.2011 12:15
Quelle: BGH PM Nr. 23 vom 8.2.2011

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